Entbehrung und Belohnung

Wer als Koch hier in Österreich in der Saison beschäftigt ist, arbeitet nicht selten 4, 5 oder gar 8 Monate durch ohne Urlaub und nur einem Tag in der Woche frei. Allerdings wird seine Arbeit dann auch besser vergütet als in einem Ganzjahresbetrieb. Unterkunft und Verpflegung werden hier in Österreich kostenfrei zur Verfügung gestellt, der Urlaubsanspruch und das 13. und 14. Gehalt werden am Ende einer jeden Saison dann aliquot vergütet. In der Schweiz wird dies etwas anders gehandhabt. Privatleben ist jedoch gänzlich unmöglich. Dafür kenne ich zu viele gescheiterte Beziehungen inklusive meiner eigenen. Eine wurde mal mit den Worten beendet: „Ich hatte ja keine Ahnung wie hart du für dein Geld arbeiten musst.“

Ja, Köche sind hart im nehmen. Die Saison hatte gerade begonnen, da stürzte mein Vorspeisenkoch vor dem Kühlhaus so unglücklich, das er sich einen Bänderriss zuzog. Nun gab es zwei Möglichkeiten: entweder sofort operieren und die Saison war für ihn, bedingt durch einen sechswöchigen Krankenstand, gelaufen, oder aber durchbeißen und weitermachen. Er entschied sich für letzteres.

Können Sie sich vorstellen mit einem kapitalen Leistenbruch vier Monate weiter durchzuarbeiten? Ich mir auch nicht. Aber dennoch habe ich es getan, aus Loyalität, innerem Ehrgeiz, was auch immer. Und nicht selten wurde dabei die eigene Gesundheit auf’s Spiel gesetzt. Ich möchte hier nun wirklich nicht näher auf die körperlichen Auswirkungen eines Leistenbruches eingehen, aber eines kann ich bestätigen: es ist extrem unangenehm. Ich erinnere mich noch gut, wie ich mir beim Freikratzen der Frontscheibe meines privaten Fahrzeuges eine Sehne meines Ringfinger der linken Hand riss. Panik bei meinem Dienstgeber! Seine größte Sorge war immer, was tun, wenn der Küchenchef ausfällt. Wir hatten in diesem Haus nicht das Potential mehr als genügend Köche einzustellen, dafür waren wir zu klein. Dazu kam noch das schon zum damaligen Zeitpunkt Köche nicht wie reife Äpfel von den Bäumen fielen. Also wieder einmal durchbeißen, mit gerissener Sehne an der linken Hand. Zur Info: ich bin Linkshänder.

Im August 2005 kam es auf Grund von nicht enden wollenden Niederschlägen in Vorarlberg zu einem Jahrhundert-Hochwasser. Kleine Bäche verwandelten sich binnen weniger Stunden in reißende Flüssen, lagerten Material an und führten somit zu großflächigen Überschwemmungen. Ich war an diesem Tag im Bregenzer Wald unterwegs, wollte mir ein paar Käsereien und Hotels anschauen, als gegen 18.00 Uhr die Lage sich bedenklich zuspitzte. Die Bregenzer Ach war auf der Höhe von Bezau zu diesem Zeitpunkt nur noch eine sich in Richtung Bodensee stürzende reißende, dreckige Flut. Ich musste schleunigst nach Hause. Nicht selten kam es bei solchen Ausnahmesituationen vor, das mein Dienstgeber mich anrief um nachzufragen wo ich mich denn befände. Er war nebst seiner Eigenschaft als Hotelier auch in der Lawinenkomission und wusste mindestens eine Stunde vor Sperrung der Straße hoch in den Ort Bescheid. Am nächsten Tag war dann das ganze Ausmaß der Regengüsse sichtbar: Von neun Kilometern Straße zu uns hoch in die Gemeinde, waren sechs schlichtweg nicht mehr existent. Der kleine Fluss durch den Ort hindurch hatte an manchen Stellen eine Breite von bis zu 100 Metern erreicht. Und das mitten in der Sommersaison! Die ersten 14 Tage wurden wir aus der Luft, anfänglich sogar von Black Hawk Hubschraubern des österreichischen Bundesheeres sehr zur Unterhaltung der Hausgäste beitragend, versorgt. „Bestell bloß keinen Blödsinn, nur das Nötigste!“, so lautete die Anweisung meines Patron bezüglich der benötigten Waren und Lebensmittel. Er befürchtete wohl den Neid benachbarter Hoteliers…

Aber nebst all diesen Entbehrungen sind wir in der privilegierten Position die besten Produkte aus der ganzen Welt zu verkosten und zu verarbeiten. Wildfang Loup de mer  und Bresse Hühner aus Frankreich, ungarische Gänseleber, bretonischer Hummer, Iberico Schwein aus Spanien, die Liste ist unendlich. Dazu kommen noch Weine, Spirituosen, Gewürze, Rauchwaren, exotisches Obst und Gemüse. Die einzige Frage, welche man sich bei all dieser Vielfalt stellen musste, war die nach dem Sinn oder Unsinn all dieser Köstlichkeiten. Brauche ich das, verfüge ich über die entsprechenden Gäste in meinem Restaurant, so das ein Bedarf besteht, oder ist es gänzlich überflüssiger Schnickschnack. Mein Fokus lag immer auf heimische Produkte. Ich war aber auch bereit, diese durch korrespondierende Luxusprodukte zu ergänzen. Und ich selber liebe den Luxus ja auch selber.

Einer meiner Dienstgeber sagte mal zu mir: „Weißt du Michael, Weihnachten und Silvester gehört allen, nur nicht uns.“ Dieser Patron hatte gerade erst seinen Master of Whisky absolviert und besaß plötzlich Bezugsquellen, von denen manch anderer nur träumen konnte. Und einmal lud er mich nach erfolgreichem Silvestermenü zu einem 6 gängigen ‚Whisky-Menü“ in die Kellerbar ein. Wir sprechen hier über Whisky ab Fassstärke, das bedeutet jeder einzelne diese gereichten Whisky verfügte über mindestens 60% Vol. Ich schlug mich bis zum dritten recht tapfer, und ich kann euch versichern, es war ein einmaliges Erlebnis. Aber nach dem dritten zuzüglich ungezählter Gläser Champagner von Hausgästen spendiert, gingen mir langsam aber sicher die Lichter aus, und ich benötigte dringendst bissfeste Nahrung. Auf dem Weg nach oben kam mir schon seine Schwester grinsend entgegen, wusste sie doch, was ihr Bruder „angestellt“ hatte, und begleitete mich „unterstützend“ in die Küche, um mir eine gehaltvolle und nahrhafte Jause zu kredenzen. Das war Rettung in letzter Minute!!!

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